Zwischen 1870 und 1930 waren Anstandsbücher in Deutschland, England und Frankreich nicht nur heiß begehrte Ratgeber für das sichere Auftreten und Reüssieren in der Gesellschaft, sondern zugleich auch ausgeprägt politische Medien. In ihrer weit überwiegenden Mehrzahl boten sie verschiedensten katholischen und evangelischen, konservativen und liberalen, generationenmäßig oder berufsständisch abgegrenzten, dabei nach außen hin defensiv-separierten oder selbstbewusst-offenen sozialen Milieus und Teilkulturen Hilfestellung bei der Orientierung in Zeiten rascher Entwicklungen und Umbrüche in Staat und Gesellschaft.
Je nach Land geschah dies in unterschiedlichem Ausmaß und mit spezifischen Schwerpunktsetzungen. Ungeachtet jedoch der Besonderheiten des jeweiligen nationalen Buchmarktes wurden politische Etikettebücher über Jahrzehnte hinweg offenbar zielgerichtet angeboten und gekauft. Verleger und Autoren beeinflussten dabei in wechselnden Anteilen die Inhalte einzelner Werke und die Entwicklung des Genres im Ganzen, in der Regel aber standen die Wünsche und Bedürfnisse des Lesepublikums im Vordergrund.
Alles in allem kann das Massenmedium Anstandsliteratur als Ergänzung zu genuiner Weltanschauungslektüre für diverse soziale Formationen in allen drei untersuchten Ländern eingestuft werden. Die Geschichte der politischen Medien und ihrer soziopolitischen Funktion um 1900 wird so aus internationaler Perspektive um einen wesentlichen, bislang unbekannten Aspekt bereichert.
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